Meine Lyrikecke im Traumschloss
   
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  Stimmungsgedichte VI
 


Stimmungsgedichte VI

• Eiskalt
 



EISKALT

Und nun schneit es -
und nun friert es -
Was wird diese Nacht wohl sein?
Obdachlose kauern
sich in Hofeingänge rein.

Erste Bilder zeigt am Abend
Hofer in der Tagesschau:
Unbekannte Männerleiche -
gottlob war es keine Frau!?

Ja, wir bauten schon Asyle,
doch sie reichen einfach nicht -
für das Heer der kranken Seelen -
ohne Wärme, ohne Licht.

Öffnet Hallen, öffnet Herzen…
öffnen wir sie schnell und bald!
Wem nützen unsre Weihnachtskerzen?
Den ERFRORENEN war NUR kalt.

© Helga Boban ~ Schlossfee 29.11.2005









Wer sind die Obdachlosen?
Aufgrund der Krise des Sozialstaates in vielen europäischen Ländern und der verschlechterten wirtschaftlichen Lage ist in den letzten Jahren die Zahl der Obdachlosen angewachsen.
Es ist eine schwierige Welt, die nicht einheitlich ist und aus Menschen unterschiedlichen Alters, verschiedener Lebensgeschichten und -situationen besteht.
Immer häufiger sind die Gründe für Obdachlosigkeit nicht auf außergewöhnliche Ereignisse oder besondere Armutssituationen zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich um Erlebnisse, die viele betreffen können: Eine Wohnungskündigung, Spannungen in der Familie, die sich nicht lösen lassen, Verlust des Arbeitsplatzes oder eine Krankheit können Menschen, die nicht die nötige Unterstützung haben und bis dahin ein normales Leben geführt haben, dazu bringen, dass es ihnen an allem fehlt. So kann man alten Menschen begegnen, die ihre Wohnung verloren haben, Erwachsene, die nach einer Scheidung alle Beziehungen verloren haben, und immer häufiger Jugendliche ohne Arbeit.
Die innere und äußere Kälte
An erster Stelle die Kälte. Auf der Straße sind die Härten des Winters manchmal unerträglich, und die Obdachlosen haben oft nicht genügend Mittel, um sich vor ihr zu schützen. Das Trinken wird fast eine Notwendigkeit, auch wenn das anfängliche Gefühl der Wärme ein Trugschluss ist. Das erklärt die Todesfälle durch Erfrieren, die es leider in jedem Winter gibt. Nicht selten trifft man auf der Straße Alkoholiker, die stark unterernährt sind, die sich kaum auf den Beinen halten können, nicht nur weil sie betrunken sind, sondern einfach weil sie entkräftet sind. Denn je mehr man trinkt, desto weniger isst man und desto weniger Appetit hat man.
Die Nacht geht nie zu Ende
Wenn man auf der Straße schläft, fällt es schwer einzuschlafen. Die Orte, wohin die Obdachlosen sich nachts zurückziehen, sind nicht nur ohne jegliche Bequemlichkeit, sondern auch sehr lärmerfüllt. Wenn man getrunken hat, wird der Schlaf so tief, dass man weder Kälte noch unbequeme Lage noch das Chaos um sich herum wahrnimmt.
Die Feindin Einsamkeit
Die größte Feindin für Menschen auf der Straße ist die Einsamkeit. Man verbringt ganze Tage damit, in der Stadt mitten unter Hunderten von Menschen herumzulaufen, aber man ist allein. Wenn man einsam ist, werden die Last der Erinnerungen, die Sorgen um die Gegenwart und die Zukunft schwerer. Der einzige Weg, um davor zu flüchten, besteht darin, sich zu betäuben in der Hoffnung zu vergessen. Zur Kälte, zum Hunger und zur Einsamkeit gesellt sich oft noch die Scham über die eigene Lebenslage.
Der Alkohol verändert nicht nur objektiv das Leben dieser Menschen, sondern verändert auch ihren Charakter, ihren Gemütszustand, er beeinträchtigt ihr Handeln so sehr, dass sie sich nicht mehr als Herren ihrer selbst fühlen. Und das ist für sie eine leidvolle Erfahrung, denn es ist ein Teufelskreis, der sich selbst erhält.
Oft sind diese Menschen nicht mehr jung und haben eine Lebenskrise durchgemacht, die sie vielleicht überstanden hätten, wenn sie die nötige Unterstützung erfahren hätten. Doch dann wurde sie zum Anfang eines stufenweisen aber unumkehrbaren Abstiegs aus der Gesellschaft heraus. Alkoholiker wird man nicht an einem Tag, und je länger die Gewohnheit des Trinkens andauert, umso schwieriger kommt man von ihr los.
Für wen leben?
Der Wunsch nach einem normalen Leben erlischt in diesen Menschen nicht, aber ihre aktuelle Lage ist so schwierig, dass er als ein unerfüllbarer Traum erscheint. Ihre Existenz schwankt oft zwischen dem Wunsch, ihr Leben zu verändern, und der Angst, einen Neuanfang nicht zu schaffen.
Welchen Nutzen hat es, das Trinken aufzugeben, wenn das Leben danach wie vorher weitergeht ohne Wohnung und Arbeit? Warum wieder neu anfangen? Vielleicht sollte man sich aber fragen warum und für wen man aufhören soll. Nicht für die Familie, die es manchmal nicht gibt oder in der es zu einem nicht wiedergut zu machenden Bruch gekommen ist; nicht für die Freunde, die man nicht hat, nicht wegen der eigenen beruflichen Fähigkeiten, die in vielen Fällen mit der Gesundheit verloren gegangen sind oder die man niemals besessen hat. In den meisten Fällen fehlt es nicht am Wunsch aufzuhören, sondern an den Gründen, wegen denen man es tun soll.
Dieses Problem ist eng mit der Lebensqualität dieser Alkoholiker verbunden, denn oft fehlt es ihnen an jeglichen materiellen Dingen. Ein Dach über dem Kopf, die Möglichkeit, sich regelmäßige Rhythmen und Gewohnheiten anzueignen, eine Stabilität und eine materielle Sicherheit im Alltagsleben wieder zu gewinnen, all das sind unverzichtbare Voraussetzungen für eine mögliche Wiedereingliederung. Und die Lebensqualität besteht auch aus einem Netz von menschlichen und sozialen Beziehungen, von Interessen und Erwartungen. Diese Verknüpfung ermöglicht eine Eingliederung in das soziale Umfeld, das für obdachlose Alkoholiker oftmals durch jahrelange Isolierung und Ausgrenzung völlig zerstört ist. Man kann nicht von Neuanfang sprechen, wenn man dieses Netz nicht wiederherstellt.
Das Leben an einem seidenen Faden
Das Leben dieser Menschen hängt außerdem an einem seidenen Faden. Denn Alkoholismus und die daraus folgenden Krankheiten, sowie die Unfälle durch Trunkenheit sind eines der häufigsten Todesursachen bei den Obdachlosen.
Die Einsamkeit macht verrückt
Die Einsamkeit gehört zum Leben aller Obdachlosen und wird als Realität ertragen, an die sich nicht alle gewöhnen können.
Das heißt nicht, dass diejenigen, die enge Familienangehörige besitzen, wieder Beziehungen mit diesen anknüpfen wollen. Aber das ist ein sehr heikler Punkt, bei dem es keine mechanischen Antworten gibt. Wenn Wiederversöhnungsversuche misslingen, ist das oft schmerzhafter als Erinnerungen und Nostalgie, an die man sich am Ende gewöhnt hat.
Wie leben die Obdachlosen auf existenzieller Ebene die Erfahrung der Straße? Ohne Wurzeln leben, einfach in den Tag hinein, mit wenigem sich arrangieren, welche Folgen hat das für ihr Leben?
Einige haben psychische Probleme. Ruft die Straße in bestimmter Weise psychisches Unwohlsein hervor oder landen gerade diejenigen auf der Straße, die sich schon am Rande der Normalität befinden? Die Anwesenheit von Menschen mit psychischen Problemen auf der Straße ist auf alle Fälle der Ausdruck für ein allgemeines Unwohlsein im Leben der Großstädte, das von den Strukturen und Gesundheitseinrichtungen nicht immer aufgefangen werden kann.
Sicherlich trifft die Obdachlosigkeit in den meisten Fällen Menschen, deren Lebensgleichgewicht gestört ist. Die Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft, Einsamkeit und Isolierung, Scham und schwierige Lebensbedingungen sind Prüfungen, die viele nicht meistern können. Einige Psychosen oder Fixierungen, die man bei obdachlosen Menschen beobachtet, sind als Ergebnis des Lebens erkennbar, das sie führen. Unabhängig vom Verlauf der Krankheit und ihren Ursprüngen tragen die Ausformungen, in denen sie auftritt, scheinbar gemeinsame Charakteristiken.
Wieviele Feinde!
Das Leben auf der Straße ist ein täglicher Kampf ums Überleben. Bei diesem Kampf muss man lernen sich zu verteidigen. Es gibt viele Feinde: Diebe und Rowdies, die vorbeigehen, die anderen Obdachlosen, die Polizei, das Reinigungspersonal am Bahnhof, aber auch die Kälte, der Regen, die Krankheit, die Feiertage, wenn alles geschlossen ist. Man muss die richtigen Waffen finden, um sich zu verteidigen und immer in Bereitschaft zu sein; ein Irrtum oder eine Naivität muss man teuer bezahlen.
Im Geist von einigen vergrößern die Schwierigkeiten, sich zu verteidigen, und die Angst in immenser Weise die realen Feinde. Das beschäftigt ihre Gedanken so sehr, dass man diese Feinde überall und in jedem zu sehen meint. Deshalb sehen manche hinter jeder Ecke eine Gefahr und hinter jedem Fußgänger einen möglichen Aggressor. Um sie herum baut sie gleichwie eine Mauer auf, die es unmöglich macht, dass man sich ihnen nähert. Manchmal sind sie scheu, können auf keine Fragen antworten oder Hilfe annehmen, andere Male sind sie aggressiv. Es ist ein Gefängnis, aus dem man nur schwer herauskommt.
Verfolgungswahn oder reale Gefahren? Was zählt ist auf alle Fälle die Tatsache, dass der Wahn ein konkretes, spürbares Problem ist, das Leid hervorruft und dazu zwingt, bestimmte Entscheidungen zu fällen.
Es gibt Menschen, die zum Beispiel von anderen kein Essen annehmen und auch keine Mensa für die Armen besuchen, weil sie Angst haben, vergiftet zu werden. Andere setzen sich nur mit den Schultern an eine Mauer gelehnt, weil sie Angst haben, angegriffen zu werden; wieder andere verschließen sich und bleiben hartnäckig stumm, weil sie Angst haben, streiten zu müssen. Übertriebene Verteidigungsmechanismen, aber keine irrationalen Wahnvorstellungen. Übertreibungen und die Furcht, dass sich negative oder schmerzhafte Erfahrungen wiederholen, erklären diese Verhaltensweisen einleuchtend.
Niemals sprechen
Nicht selten trifft man Frauen und Männer, die mit sich selbst sprechen; manchmal sprechen sie mit jemanden, den es nicht gibt, der aber für sie wirklich da ist. Stellen wir uns vor, was es bedeutet, tagelang mit niemanden zu sprechen: dann muss man es sich ausdenken. Mit diesem ihn, den es nicht gibt, kann man endlich über Dinge diskutieren, die niemanden zu interessieren scheinen oder die durch das viele Unrecht erstickt wurden, das man erlitten hat.
Wenn man stehen bleibt, um mit ihnen zu sprechen, entdeckt man, dass sie einen wirklichen Gesprächspartner brauchen, jemand, der Fragen stellt, der antwortet, der eine wirkliche Stimme hat. Dann wird ein großes Bedürfnis deutlich, sich auszudrücken, das nicht immer der Fähigkeit entspricht, sich verständlich zu machen; man spürt ein Bedürfnis, Erinnerungen und Situationen wieder in einen Zusammenhang zu bringen. Und wenn man aufmerksam zuhört und versucht, einen Dialog zu beginnen, dann werden anscheinend sinnlose Sätze auf wunderbare Weise logisch.
Manchmal scheinen die Erzählungen zeitlos zu sein oder besser, sie scheinen in eine Zeit hinein zu gehören, die an einem bestimmten Augenblick ihres Lebens stehen geblieben ist. Bei anderen ist das Sprechen aus mangelnder Gewohnheit eine Anstrengung, oder es fällt ihnen so schwer, dass sie nur wenige Worte sagen können.
Schreien, um gehört zu werden
Andere können sich nur durch Schreien äußern. Nicht immer richtet sich ihr Schreien gegen jemanden; manchmal ist es nur der Ton der Stimme, der lauter als normal ist, oder es ist eine Art, sich anfangs aggressiv auszudrücken. Der Wunsch, Aufmerksamkeit zu erregen, und eine Art Verteidigung gegen eine feindliche Welt kommen hier zusammen. All das vergrößert ihre Isolierung wie in einem Teufelskreis. Hinter diesen Schreien verstecken sich aber oft verängstigte Menschen, Opfer der Angst der anderen, der Welt, der Einsamkeit. Wenn man stehen bleibt und mit ihnen spricht, entdeckt man oftmals eine Fähigkeit, einen Dialog zu führen, den man für unmöglich hielt. Die Schreie hören dann auf oder der Ton der Stimme wird wieder normal.
Was die sozialen Beziehungen betrifft, fehlt es bei Menschen, die auf der Straße leben, an noch vielen anderen Dingen, und das ist nicht ohne Folgen. Denn die innere Stabilität ist eng mit der Stabilität der Zuneigung, einer Unterkunft, der Gewohnheiten und der Beziehungspunkte verknüpft. Wenn all diese Dinge fehlen, und das trifft normalerweise für Menschen auf der Straße zu, entstehen seltsame Verhaltensweisen. Jede Seltsamkeit hat eine Geschichte, die oft voller Leid ist.


Obdachlosigkeit in Deutschland
Die sichtbare Form echter Armut

Von Andrea Bistrich / Foto: Andreas de Bruin

Man nennt sie Penner, Tippelbrüder, Stadt- und Landstreicher, Wermutbrüder oder einfach Obdachlose. Sie sind die Armen in unserer reichen Gesellschaft, arbeits- und mittelslos — Randpersönlichkeiten. In der Fachsprache spricht man von Menschen in sozialen Schwierigkeiten oder vielfach auch von Nichtsesshaften. Darunter versteht man im Sinne des Bundessozialhilfegesetz Personen, die ohne gesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage umherziehen, alleinstehende Personen ohne Wohnung und regelmäßige, sozialversicherungspflichtige Arbeit, ohne abgesicherte Existenzverhältnisse und häufig ohne existenziell tragende Beziehungen zu Familie oder anderen Lebensgemeinschaften… Personen, deren besondere soziale Schwierigkeiten der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft entgegenstehen.
Offiziell aber gibt es sie nicht. Die Zahl der Obdachlosen in Deutschland ist in keiner amtlichen Statistik erfasst. Es gibt lediglich Schätzungen, und die werden nicht von der Regierung, sondern von Seiten der Wohlfahrtsverbände aufgestellt. Einer dieser Verbände, die solche Schätzungen herausgeben, ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG) in Bielefeld. Seit Jahrzehnten schon fordert die BAG, das Ausmaß von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit öffentlich in Form einer bundeseinheitlichen Wohnungsnotfallstatistik zu dokumentieren — bislang jedoch vergeblich. Man muss sich vorläufig noch mit Schätzungen begnügen. Laut solcher Schätzungen sind etwa 591.000 Menschen in Deutschland ohne einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum. Rechnet man die Zahl der wohnungslosen Aussiedler (269.000) dazu, kommt man auf bundesweit 860.000 Menschen ohne Wohnung, was der Gesamteinwohnerzahl von Köln, der viertgrößten Stadt in Deutschland entspricht.
Wer sind die Wohnungslosen? Ein Drittel von ihnen sind Frauen, beinahe ebenso viele sind Jugendliche und Kinder, und 39 Prozent sind Männer. Eine weitere Million Menschen ist nach Einschätzung der BAG von Obdachlosigkeit bedroht oder lebt in unzumutbaren Wohnverhältnissen. Wohnungslos zu werden, scheint für einige härter zu sein als für andere. Wohnungslos gewordene Familien erhalten bei staatlichen und kirchlichen Wohlfahrtsträgern auf Anfrage eine vorübergehende Unterkunft; ein großer Teil der alleinstehenden Personen hat nicht einmal das. So leben in Deutschland heute etwa 35.000 Einzelpersonen ohne Obdach auf der Straße. Nach Angaben der BAG sind im Winter 1997 mindestens 27 Menschen auf deutschen Straßen erfroren — in einer Industrienation, die sich zu den wohlhabendsten der Welt zählt.
Sonderfall: Frauen in Wohnungsnot
Frauen in einer tiefen existenziellen Notlage schämen sich oftmals ihrer Situation und versuchen daher möglichst lang ohne institutionelle Hilfe auszukommen. Um ein Dach über den Kopf zu
Weibliche Armutsrisiken in Deutschland
• Frauen in Deutschland verdienen im Durchschnitt 30% weniger als Männer
• 90% aller Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten sind Frauen
• 70% aller sozialversicherungsfrei Beschäftigten sind Frauen; das bedeutet: geringere
• Lohnersatzleistungen und kleinere Renten
• die Altersrenten von Frauen liegen um mindestens die Hälfte niedriger als die von Männern

haben, gehen viele von ihnen Zwangsbeziehungen ein oder kehren erneut zum früheren Partner zurück, den sie eigentlich aufgrund eskalierender Konflikte verlassen hatten. Bei 37,5 Prozent der Frauen, so eine Studie, liegt der Auslöser für den Wohnungsverlust in der Trennung beziehungsweise Scheidung vom Partner/Ehemann. 21,5 Prozent werden wohnungslos durch den Auszug aus der elterlichen Wohnung, und etwa 10 Prozent fliehen vor der (sexuellen) Gewalt des Partners/Ehemanns. Weitere Gründe sind Kündigung und Räumung der Wohnung aufgrund von Mietschulden oder wegen Schwierigkeiten bei der Einhaltung des Mietvertrages. Für die vom Wohnungsverlust bedrohten Frauen ist in Deutschland nur ein unzureichendes Hilfenetz vorhanden. Bundesweit gibt es lediglich etwa 15 ambulante Beratungsstellen speziell für Frauen. Frauenpensionen und Übernachtungsstellen nur für Frauen sind rar. Entweder werden die Frauen in gemischtgeschlechtlichen Unterkünften untergebracht oder weitergeschickt, weil es keine speziellen Frauen-Notunterkünfte für sie gibt.
In Deutschland: eine Million Kinder in Armut
Eine Millionen Kinder in Deutschland sind zunehmend von Armut betroffen und erhalten staatliche Beihilfe zum laufenden Lebensunterhalt. Diese Nachricht ging durch die deutsche Presse und wurde von der Kinderkommission des Bundestages bestätigt. Das für viele wohl Erschreckende daran ist die Erkenntnis, dass Armut nicht länger als ein Problem von Randgruppen betrachtet werden kann, sondern immer mehr in die Mitte der Gesellschaft vordringt. Als Ursachen nennt das Gremium vor allem die steigende Arbeitslosigkeit. Oft gerät eine normale Familie mit zwei Kindern bereits in materielle Not, wenn ein Elternteil den Arbeitsplatz verliert. Und die Lage wird nicht besser: Die Aussichten auf eine Trendwende am deutschen Arbeitsmarkt stehen eher schlecht — die Zahl der Erwerbslosen, die momentan bei bundesweit 4.8 Millionen liegt, wird laut einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, nicht sinken.
Mehr als nur ein Wohnungsproblem
Fragt man nach den Ursachen für das Problem Obdachlosigkeit, so wird oft auf einen engen Zusammenhang zu den strukturellen Krisen auf dem Arbeitsmarkt hingewiesen. Man hat zeigen können, dass proportional zum Anstieg der Arbeitslosenquote sich zugleich auch ein Auftreten neuer Obdachlosenkarrieren bemerkbar macht. Bei vielen wohnungslos gewordenen Menschen ist die fehlende Berufsausbildung ein Grund, um in der Wohnungsnotlage zu verharren. Rund die Hälfte aller Obdachlosen haben keine Berufsausbildung oder einen der immer weniger gefragten Handwerksberufe erlernt (Melker, Bergmann) oder Tätigkeiten ausgeübt, die von struktureller Arbeitslosigkeit und Automatisierung betroffen sind. Da sie in ihrer Situation kaum Chancen haben auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen, versuchen sich manche als Gelegenheitsarbeiter am Bau oder in der Gastronomie, oder verrichten illegale Leiharbeiten — alles ohne rechtliche Absicherung. Ganz oben unter den Ursachen von Wohnungslosigkeit rangiert der Faktor Mietschulden. Dabei liegt die Mietschuldenhöhe der von Wohnungslosigkeit bedrohten Haushalte mit Mietschulden im Durchschnitt bei DM 3.210 je Haushalt. Neben schlechter Arbeitsmarktlage, fehlender beruflicher Qualifikation und finanziellen Schwierigkeiten gilt als weitere Ursache für den sozialen Abstieg das Zusammenspiel von individuellem Schicksal und einer bestimmten – in vielen Fällen auch gestörter – Persönlichkeitsstruktur: Soziale, psychische und gesundheitliche Schwierigkeiten erleichtern ein Abrutschen in die Obdachlosigkeit. Etwa 30 Prozent der Betroffenen sind permanent oder zeitweise in Heimen aufgewachsen oder bei wechselnden Bezugspersonen; ein hoher Prozentsatz ist alkoholabhängig; bei 20 bis 30 Prozent der Betroffenen liegen Straffälligkeit und Haft vor. Psychologische Instabilität ist nicht nur eine der Ursachen, sondern auch Folgeerscheinung. Leben auf der Straße ohne jede existentielle Absicherung macht krank. In einer der bislang größten empirischen Untersuchungen zur psychischen Gesundheitssituation von Obdachlosen in Deutschland, die Anfang des Jahres 1998 veröffentlicht wurde, hat man festgestellt, dass etwa 50 Prozent der in Unterkünften und Heimen untergebrachten Wohnungslosen psychisch krank sind: 77,9 Prozent hatten in ihrem Leben schon einmal eine Psychose oder eine Erkrankung durch psychotrope Substanzen.
Helfen — aber wie?
Bisher liegt das Problem Wohnungslosigkeit noch in der Hand der Kommunen. Ein übergreifendes, bundeseinheitliches Konzept oder flächdeckendes Hilfenetz gibt es nicht und im allgemeinen wissen die einzelnen Wohlfahrtverbände nichts von den Projekten und Hilfen in den anderen Bundesländern. In München, mit 1,3 Millionen Einwohnern die drittgrößte deutsche Stadt, sind die Bedingungen zur Hilfe und Prävention vergleichsweise gut. Öffentliche Träger bemühen sich, zum Teil in Kooperation mit freien Wohlfahrtsverbänden, die Not der Menschen ohne Wohnung zu lindern. Unter den zahlreichen Einrichtungen für Obdachlose gibt es verschiedene Wohnprojekte für Männer, Frauen und Paare; Anlauf- und übernachtungsstellen für Frauen in Not (mit und ohne Kinder); stationäre Einrichtungen für strafentlassene Männer oder solche, die gefährdet sind, straffällig zu werden; betreute Wohngemeinschaften für dauerhaftes Wohnen; Resozialisierungsheime; Wärme- und Teestuben; Fachberatungsstellen; Kurzübernachtungs- und Beschäftigungsangebote; Therapieeinrichtungen für Suchtkranke. Die insgesamt rund 5.120 in München lebenden Wohnungslosen sind in Notunterkünften untergebracht wie z.B. in kirchlich geführten und städtischen Unterkünften, oder wohnen in den von der Stadt angemieteten Sozialwohnungen (stärker belegt als gewöhnlich), oder in Pensionen (meist zu dritt oder viert auf einem Zimmer). Weitere rund 600 Personen leben wirklich auf der Straße, darunter auch 50 Frauen. Viele von ihnen wollen unabhängig bleiben, wollen lieber im Freien unter der Brücke schlafen als in Notunterkünften auf engstem Raum mit völlig fremden Menschen zusammenzuleben; andere sind schwer alkoholkrank, abgestumpft und wollen nicht therapiert oder resozialisiert werden; wieder andere sind erst seit kurzer Zeit ohne Obdach und wissen noch nicht, wo sie Hilfe erhalten; bei einigen verhindert die Angst vor den Behörden eine Wiedereingliederung. Im Winter 1997 haben Leser der Süddeutschen Zeitung eine rollende Arztpraxis gestiftet — das Obdachlosen-Mobil. Eine Ärztin und ein Krankenpfleger sind rund um die Uhr im Einsatz. Allein im vergangenen Jahr wurden im Wert von 15.000 DM Medikamente an die Patientinnen und Patienten ausgegeben, die nicht von Krankenkassen bezahlt werden. Ein Versuch, die breite Öffentlichkeit auf die Wohnungslosigkeit in Deutschland aufmerksam zu machen, war der im September 1998 bundesweite Aktionstag unter dem Motto: Die Stadt gehört allen. — Ein Tag gegen Diskriminierung und soziale Ausgrenzung Wohnungsloser und Armer. Darüber hinaus gibt es in Deutschland inzwischen mehr als 45 Straßenzeitungen, die auf die Situation von Wohnungslosen aufmerksam machen und Diskussionsforen, Informationen und Adressen von Hilfeeinrichtungen und Projekten bieten.





 
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